„Betriebsstörung“ beim Bürgerforum
Heizkraftwerk: MVV gelobt kontinuierliche Verbesserung – Kritiker wollen mehr Taten sehen
Zum Anfang gab es einen Paukenschlag: Mitglieder der Bürgerinitiative verließen demonstrativ den Raum beim zweiten Bürgerforum zum Heizkraftwerk. Doch das resultierte offenbar aus einem Missverständnis.
„Zwei Stunden vor dem Treffen ein solches Fax: Das ist ein Fauxpas“, machte Harald Rücker seinem Unmut Luft. Als Vertreter der Korbacher Bürgerinitiative verließen Rücker und Wolfgang Lehmann „unter Protest den Saal“. Und Dr. Peter Koswig war schon vorher völlig verärgert aus dem Bürgerhaus abgezogen.
„Bedauerlich, wenn dies so interpretiert wird“, erklärte Friedhelm Kaiser (MVV Energie Mannheim), Chef im Heizkraftwerk, später vor rund 45 Besuchern.
Auslöser war ein Schriftwechsel zwischen Koswig und Kraftwerksbetreiber MVV. Darin bat Koswig, beim Bürgerforum am Mittwoch möglichst mehr Auskünfte über die Lieferanten des Mülls zu bekommen, der im Heizkraftwerk als Brennstoff verfeuert wird. Denn schon bei der Betriebsstörung mit Quecksilber im August 2009 habe die Staatsanwaltschaft nicht ermitteln können, „welcher Zulieferbetrieb Ihnen den mit krimineller Energie absichtlich mit Sondermüll versetzten Müll angeliefert hatte“, schrieb Koswig am Montag.
Am Mittwochnachmittag antwortete Kaiser auf die Mail ebenfalls schriftlich. MVV verwies dabei noch mal auf die Untersuchungen zu den Vorfällen mit Quecksilber im August 2009 und März 2010. Rückschlüsse auf die Lieferanten seien aber nicht eindeutig möglich, für eine vorsätzliche Beimischung von Quecksilber gebe es keine Hinweise. „Solange jedoch noch keine Beweise vorliegen, können Mutmaßungen über die Ursachen zivil- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen“, teilte MVV am Ende mit.
Dieser Passus war laut Kaiser auf den Betreiber selbst gemünzt: Falsche Spekulationen oder Verdächtigungen könnten also für MVV zu rechtlichen Konsequenzen führen.
Die Bürgerinitiative sah dies jedoch als Drohung an, was bei den Bürgern dann Wut erzeugte. Fazit: Da lag in einer seit Jahren hitzig geführten Debatte offenbar ein Missverständnis vor.
Inhaltlich setzte Dekan Bernd Böttner, Moderator des Bürgerforums, vier Punkte am Mittwochabend auf die Tagesordnung:
- den Emissionsbericht des Kraftwerks für 2009
- Störungen durch zu viel Quecksilber
- ein Gutachten vom „bifa Umweltinstitut“ Augsburg zum Heizkraftwerk Korbach
- Forderungen des Korbacher Bürgermeisters Klaus Friedrich nach „optimalen“ Standards – ob Filtertechnik, Betriebsführung, Messtechnik, aber auch Informationspolitik.
Gegensätze wurden beim Bürgerforum schnell klar: Friedhelm Kaiser untermauerte mit der Abgas-Statistik von 2009, dass das Kraftwerk „bei den Schadstoffparametern weit unter den Grenzwerten“ geblieben sei. Zudem habe MVV aus den Betriebsstörungen mit Quecksilber Lehren gezogen. Mit den Auflagen durch das Regierungspräsidium (RP) sei die Sicherheit im Kraftwerk verbessert. Und dies habe sich bei der kurzfristigen Betriebsstörung mit Quecksilber im März 2010 bewährt.
Ein Chemiker des „bifa Umweltinstituts“ bescheinigte dem Heizkraftwerk sogar in seinem Gutachten „beachtenswert niedrige“ Emissionswerte (wir berichteten) – und wiederholte sein Fazit am Mittwoch: Bei ordnungsgemäßer Betriebsführung und Funktion der Filteranlagen gehe vom Kraftwerk keinerlei Gefahr für Mensch und Um-welt aus.
Selbst Thorsten Stein, der Planung und Betrieb des Kraftwerks in öffentlichen Runden höchst kritisch begleitet hatte, bestätigte in der Debatte: Er sei von den Emissionswerten 2009 durchaus überrascht gewesen.
Doch die technischen Einschränkungen, die Details und Störfälle waren für Bürger wie Thorsten Stein im Saal der springende Punkt. Denn permanente technische Verbesserungen und fehlerfreier Lauf des Kraftwerks seien doch „eine Selbstverständlichkeit“, wie ein anderer Besucher unterstrich. Auch Doris Jauer (Grüne) bohrte mehrfach nach.
Bürger: Störfälle vermeiden
„Ihren Ausführungen entnehme ich, dass Sie selbst mit den zusätzlichen Messgeräten nicht in der Lage sind, Belastung mit Quecksilber auszuschließen. Und wenn dieser Müll dann verbrannt wird, sind Sie nicht in der Lage, das Quecksilber ausreichend rauszufiltern. Was tun Sie dagegen?“, folgerte der Apotheker Franz Kirchner.
Antworten dazu gab Maximilian Mägerlein vom Regierungspräsidium. Betriebsstörungen mit Quecksilber gebe es nicht nur in Korbach, sondern auch bei anderen Müllverbrennungsanlagen: „Das kann schon drei-, vier-, fünfmal im Jahr vorkommen.“ Es sei sehr schwierig, im Abfall „kleine, punktförmige Quellen“ zu finden. Gerade deshalb habe die hessische Landesregierung jüngst ein Forschungsvorhaben zu Quecksilber in Auftrag gegeben.
Mägerleins Erklärungen stellten kritische Bürger wie Stein, Kirchner oder Doris Jauer in der Debatte kaum zufrieden. Ihnen ging es ja nicht um den Normalbetrieb des Kraftwerks, sondern darum, Eingangskontrollen und Filteranlagen zu verbessern – damit es gar nicht zu Störfällen kommt.
Auswirkungen macht das Beispiel mit Quecksilber deutlich: Im gesamten Jahr 2009 hat das Heizkraftwerk laut Messgerät rund ein Kilogramm Quecksilber ausgestoßen. Bei einer Betriebszeit von rund 6300 Stunden wären bis zu 13,1 Kilogramm erlaubt gewesen, denn die Abgase werden in der Luft zigtausendfach verdünnt.
Damit lagen die Messergebnisse 2009 um ein Vielfaches unter dem Grenzwert – selbst inklusive des Störfalls. In den Messungen ist aber der Störfall vom August 2009 nicht enthalten, weil das Messgerät durch einen Fehler des TÜV für solche Ausnahmefälle falsch eingestellt war. Somit gingen im August 2009 zwischen 1,2 und maximal 4,6 Kilogramm Quecksilber in die Luft. An zwei Tagen war das mehr, als das Kraftwerk sonst über das ganze Jahr ausstößt.
Durch technische Nachrüstung kann dies inzwischen nicht mehr vorkommen, versicherte Friedhelm Kaiser. MVV-Krisenmanager Dr. Hermann Teufel verwies zudem auf den „kontinuierlichen Verbesserungsprozess“ im Kraftwerk.
Thorsten Stein forderte aber mehr, um Vertrauen in der Bevölkerung zu gewinnen: „Wie wär’s, wenn Sie sich selbst verpflichten, niedrigere Grenzwerte festzulegen? Das wäre mal eine Sache.“
Quelle: WLZ 30.04.2010 Zurück
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