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Schadstoff-Voruntersuchung für Müllheizkraftwerk

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Schadstoff-Voruntersuchung für Müllheizkraftwerk - Interview mit dem Kieler Umwelttoxikologen Dr. Hermann Kruse

"Entscheidend ist der politische Wille"

KORBACH. „Bevor die Anlage genehmigt wird, muss die Schadstoff-Vorbelastung untersucht werden": Knapp drei Monate nach seinem ersten Vortrag im April untermauert der Kieler Umwelttoxikologe Dr. Hermann Kruse am Donnerstag seine Forderung nach einer humantoxikologischen Voruntersuchung. Etwa 80 interessierte Bürger, darunter auch einige Korbacher Stadtverordnete und Bürgermeister Klaus Friedrich, waren der Einladung der Bürgerinitiative „für ein lebenswertes Korbach" gefolgt. Mit dem bei Betreibern und Kritikern gleichermaßen. anerkannten Wissenschaftler sprach WLZ-Redakteur Thomas Kobbe über das geplante Conti-Heizkraftwerk, in dem ab 2008 vorbehandelter Abfall zur Energiegewinnung verbrannt werden soll.

  • Sie waren am Donnerstag im Kasseler Regierungspräsidium, um sich ein Bild über die bislang bekannten und ermittelten Schadstoff-Vorbelastungen zu machen. Gab es dabei Überraschungen?

Dr. Kruse: Die Daten sind uns in aller Offenheit vorgestellt worden. Dabei hat sich gezeigt, dass das Korbacher Wasser belastet ist, vor allem mit so genannten leicht flüchtigen Halogen-Kohlenwasserstoffen. Dahinter verbirgt sich zum Beispiel Perchlorethylen, was in chemischen Reinigungen angewandt wird, und Trichorethylen, das als viel benutzes Lösemittel, etwa zum Ablösen von Fett, eingesetzt wird (Anmerkung der Redaktion: Beide Stoffe gelten als krebserzeugend). Auffällig war außerdem, dass die gesundheitsschädlichen BTX-Stoffe, also Benzol, Toluol und Xylole, im Grundwasser feststellbar waren. Für mich als Toxikologen ist es bemerkenswert, dass das Grundwasser unter Korbach nicht eine ganz bestimmte Fließrichtung hat, sondern dass diese sich abhängig vom Wasserstand ändern kann. Das bedeutet, dass man die Schadstoffquellen im Grundwasser ganz schwer ausmachen kann. Über verschiedenste Wasserleiterschichten im Untergrund ist alles miteinander verbunden. Deshalb sind auch im Wasserwerk Teichmühle relativ hohe Belastungen festgestellt worden. Das führt dazu, dass die Korbacher aktivkohle-gefiltertes Wasser trinken müssen. Andernfalls würde das Risiko einer Trinkwasserbelastung, die die gesetzliche Grenzwerte überschreitet, erheblich steigen.

  • Wie sieht es mit anderen Stoffen aus?

Aus toxikologischer Sicht wichtig ist die Frage nach der Belastung mit Metallen, etwa mit
Arsen oder Cadmium. Dazu wurde uns im Regierungspräsidium mitgeteilt, dass in dieser Hinsicht keine Auffälligkeiten zu sehen waren. Wünschenswert wäre es meines Erachtens trotzdem, dass man auch das noch einmal überprüft.

  • Welche Konsequenzen ergeben sich daraus im Hinblick auf die von Ihnen und der Bürgerinitiative geforderte humantoxikologische Voruntersuchung?

Wenn bereits jetzt in diesem Rohwasser eine Belastung mit Schadstoffen feststellbar ist, die eventuell aus dem Schornstein einer Verbrennung herauskommen können, dann muss man die Situation sehr argwöhnisch betrachten. Es kann sein, dass man dann als Toxikologe sagen muss: Das Wasser ist bereits so hoch mit diesen Stoffen belastet, dass weitere Einträge ins Grundwasser ausgesprochen kritisch wären.

  • Mit anderen Worten: Je höher das Ausgangsniveau der Schadstoffbelastung, desto geringer die Schutzwirkung von Grenzwerten?

Genau. Wenn zwischen Ausgangsniveau und Grenzwert nicht mehr viel Spanne ist, dann ist das nicht mehr tolerabel. Deshalb muss die Vorbelastung nicht nur des Grundwassers, sondern die des Bodens und der Luft untersucht werden.

  • ...in einem „Schadstoff-Steckbrief", wie Sie es bei Ihrem Vortrag im April nannten. Wie läuft ein solches Verfahren ab?

Bevor die Genehmigungsbehörde dem Betreiber sagt: „Ihr könnt das Müllheizkraftwerk hier unbedenklich bauen", muss die Vorbelastung festgestellt werden. Dabei geht es um die Frage: Kann es sein, dass schon einige Schadstoffkonzentrationen in so hohem Maße vorhanden sind, dass nichts mehr hinzukommen darf? Man müsste die Belastungen über einen längeren Zeitraum ermitteln. Im Idealfall wäre dies ein Jahr, aber das macht kein Betreiber mit. Verständlich, denn damit wäre ein hoher Kostenaufwand verbunden. Also wird es meist reduziert auf sechs Monate, damit man die wichtigsten jahreszeitlichen Einflüsse abdeckt, oder manchmal sogar in einem Eilverfahren von drei Monaten. Das ist zwar nicht optimal, aber besser, es wird über drei Monate als gar nicht gemessen.

  • Welche Kosten kommen dabei auf den Betreiber zu?

Ich schätze, dass eine sechsmonatige Untersuchung an vier Luftmesspunkten, im Anstrom- und Abstrombereich sowie an einem Hauptverkehrspunkt und nahe eines so genannten sensiblen Bereichs wie einem Krankenhaus, etwa 300000 bis 400000 Euro kosten würde, inklusive der Messung und Auswertung von 30 bis 40 Bodenproben.

  • Wo gab es Fälle, in denen Anlagenbetreiber so vorgegangen sind und aufgrund der Messergebnisse die ursprünglich geplante Filtertechnik nachgebessert haben?

Als Gutachter war ich an allen Genehmigungsverfahren für Müllverbrennungsanlagen in Schleswig-Holstein beteiligt. In sämtlichen Anlagen wurden bessere Abgasfilter eingebaut, als sie der Gesetzgeber nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz vorschreibt. Damit sind in all diesen Anlagen die Emissionsströme auf die Hälfte reduziert worden.

  • Wie ist das gelungen?

In den meisten Fällen bin ich als Gutachter im Auftrag der Genehmigungsbehörde tätig
gewesen. Fakt ist, dass die Behörde den Betreiber nicht zwingen kann, die gesetzlich
geforderten Grenzwerte freiwillig zu unterschreiten oder ein humantoxikologisches Gutachten erstellen zu lassen. In allen Fällen ist es aber dazu gekommen, dass ein Gespräch zwischen der Behörde, dem Gutachter und dem Betreiber stattgefunden hat. Dahinter steckte immer ein politischer Wille am geplanten Anlagenstandort. Wenn dieser Wille nicht vorhanden ist und sich niemand rührt, sei es eine Bürgerinitiative oder das Stadtparlament, passiert in dieser Hinsicht gar nichts.

  • Wie stark muss dieser politische oder Bürgerwille sein?

Es reicht keine Bürgerinitiative, tut mir leid, wenn ich das sagen muss. Die Parteien müssen mitziehen. In der Regel ist es ja auch so, dass Müllverbrennungsanlagen mit kommunaler Beteiligung betrieben werden, dass also Kommunalpolitiker auch darüber zu entscheiden haben. Das ist hier aber eine völlig andere Situation.

  • Das heißt also: Die Genehmigungbehörde entscheidet darüber, ob ein Toxikologe als Gutachter hinzugezogen wird?

Richtig. Das kann die Behörde anordnen. Aber nochmal: Die Behörde ist verpflichtet, die Genehmigung zu erteilen, wenn aus den Antragsunterlagen hervorgeht, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden. Ich möchte keinesfalls missverstanden werden: Meine Aufgabe als Wissenschaftler ist es nicht, ein Urteil abzugeben, ob die Anlage hier gebaut werden darf oder nicht. Aber als Toxikologe kann ich beurteilen: Passt die geplante Verbrennungsanlage in die Gegend hinein angesichts der spezifischen Schadstoff-Vorbelastungen in Luft und Boden?

  • Ihrer Erfahrung nach ist ein Grund für das Einlenken der Betreiber, dass sie dadurch einen Imagegewinn für ihr Unternehmen verbuchen möchten. Meinen sie, dass angesichts der herausragenden wirtschaftlichen Position, die Continental als größter Arbeitgeber der Region ohnehin einnimmt, diese Überlegungen in Korbach eine deutlich geringere Rolle spielen?

Ich kenne die Feinheiten im politischen Machtgefüge nicht im Einzelnen, aber mir drängt sich so ein bisschen dieser Eindruck auf, dass die Bereitschaft zum Einlenken nicht vorhanden ist. Es wird auch sehr zurückhaltend von den Politikern in Korbach dazu Stellung genommen.

  • Ende Juni sollten sich die Stadtverordneten mit einem Antrag der Grünenfraktion beschäftigen. Darin wurde die Stadt aufgefordert, beim Kasseler Regierungspräsidium eine humantoxikologische Voruntersuchung zu beantragen. Dieser Antrag wurde einstimmig vertagt. Nun soll erst im September darüber beraten werden. Die Stadtverordneten waren der Ansicht, dass im Zuge der öffentlichen Auslegung der Pläne gegebenenfalls noch genügend Gelegenheit besteht, ein Gutachten zu beantragen.

Da wäre ich sehr vorsichtig. Die Antragsunterlagen werden wahrscheinlich komplett vorliegen. Das heißt, dass sie beim Regierungspräsidium eingereicht werden können. Und die Behörde wird relativ schnell zu einem abschließenden Urteil kommen, da bin ich ganz sicher. Sie muss es ja sogar, gemäß der gesetzlichen Vorgabe. Je länger man sich also Zeit damit lässt, ein solches Gutachten zu fordern, desto unwahrscheinlicher ist es, dass dann noch diese Voruntersuchungen durchgeführt werden. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Wenn es schon so weit ist, dass nur noch Einwände zugelassen werden, dann ist im Grundsätzlichen nichts mehr zu ändern. Dann werden die Einwände noch diskutiert, fließen in die Beurteilung der Behörde ein - oder auch nicht. Deswegen kann ich dieses Argument nicht ganz nachvollziehen.

  • Wagen sie eine Prognose, was den Bau des Conti-Müllheizkraftwerkes in Korbach angeht?

Ich könnte mir vorstellen, dass die Bürgerinitiative mit Unterstützung der Umweltverbände noch mehr Gewicht bekommt und dass der Kontakt zur Genehmigungsbehörde verbessert wird. Außerdem glaube ich, dass die Parteien doch noch mal sehr darüber nachdenken werden. Man wird nicht verhindern können, dass diese Verbrennung hier stattfindet. Man wird sich aber vielleicht in der Mitte treffen und erreichen können, dass verbesserte Filtertechniken eingebaut werden. Und damit ist der Toxikologe dann auch ganz zufrieden.

Quelle: WLZ vom 22. Juli 2006

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