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Heizkraftwerk - heiße Debatten um die Genehmigung KORBACH (jk). Die Positionen um das Heizkraftwerk bleiben unversöhnlich. Das Korbacher Aktionsbündis „für ein lebenswertes Korbach" sieht weiterhin massive Gefahren für Mensch und Umwelt durch das Heizkraftwerk. Betreiber MVV Energie (Mannheim) will durch Müllverbrennung künftig Dampf für Conti liefern. Das Regierungspräsidium wird das Projekt heute genehmigen und legte gestern in der Stadthalle in großer öffentlicher Runde die Begründungen dar - erstmals für ein solches Genehmiungsverfahren. Den Kritikern kam die Debatte vor Toreschluss viel zu spät. Sie sahen darin eher eine Alibi-Veranstaltung und kündigten eine Klage gegen den Bau an. (Foto: jk)
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Streit ums Kraftwerk bleibtVon Jörg Kleine und Thomas Kobbe Es war ein Novum. Erstmals stellte sich das Regierungspräsidium (RP) Kassel in großer öffentlicher Runde, um Gründe für die Genehmigung eines Kraftwerks zu erörtern. „Damit Sie erkennen können, dass wir gewissenhafte Arbeit geleistet und die Einwendungen abgearbeitet haben“, betonte Regierungspräsident Lutz Klein (Battenberg) vor rund 250 Besuchern. Das Aktionsbündnis „für ein lebenswertes Korbach“ sieht das jedoch völlig anders. Der Abfallbunker des Kraftwerks wird außer einer Betonwanne eine zweite Wand aus Stahl und Zement erhalten, um zusätzliche Sicherheit beim Trinkwasserschutz zu bieten. Diese Aufage an Betreiber MVV Energie (Mannheim) ist ein Erfolg der Bürgerinitiative. Doch vor allem bei der Schadstoffbelastung über Luft und Boden markieren die Kritiker weiter erhebliche Gefahren. Bessere Filtertechnik und eine Untersuchung der bereits bestehenden Belastung für Mensch und Umwelt, das sind die Forderungen. Das Regierungspräsidium müsse sich im Genehmigungsverfahren indes an Recht und Gesetz und gültigen Grenzwerten orientieren, nicht an maximal möglichen Vorkehrungen, erklärten die Fachdezernenten des RP. Auch die vielfach kritisierte Übertragung von Wetterdaten aus Bad Arolsen und Emissionsdaten aus Kassel auf den Standort Korbach sei zulässig und nachvollziehbar. So hat das Regierungspräsidium außer der doppelten Wanne für den Abfallbunker, verstärkten Messungen und Kontrollen, etwa den Ausstoß von Dioxinen „beim Anfahrbetrieb“ des Kraftwerks, keine „Einwände gegen diese Anlage“. Sie entspreche dem gesetzlich geforderten Stand der Technik. Die Bürgerinitiative hakte in der über zweistündigen Debatte nach, ob auch die bei der Conti-Reifenproduktion entstehenden Schadstoffe bei der Festsetzung der Grenzwerte berücksichtigt worden seien. Die Antwort erschien vielen Zuhörern als zu formalistisch: Das eine Verfahren habe mit dem anderen nichts zu tun. Man habe über den MVV-Antrag befnden müssen, nicht über etwaige Grenzwertüberschreitungen bei einem bereits bestehenden Industriebetrieb. Als unerheblich beim Verkehr im Korbacher Norden stuft die Behörde die zu erwartenden 20 Lkw-Anlieferungen pro Tag ein. Eine Beeinträchtigung des Stadtbildes durch das Kraftwerk könne ebenso ausgeschlossen werden. Zwar überrage das künftige Kesselhaus mit 37 Metern Höhe die umliegenden Conti-Gebäude. Dieser Kraftwerksteil sei aber mit 250 Quadratmetern Grundfäche vergleichsweise klein. Die Nerven waren derweil angespannt, auch beim Regierungspräsidenten. „Wann stand für Sie fest, dass Sie das Kraftwerk genehmigen?“, fragte BI-Sprecherin Dr. Julia Günther-Pusch mit Nachdruck. „Nicht 24 000 applaudieren hier, sondern 250“, verwies Lutz Klein derweil darauf, dass offenbar viele Korbacher nichts gegen das Kraftwerk einzuwenden hätten: „Es hilft gar nichts, wenn Sie hier schreien“, entgegnete er einer Frau im Publikum. Die hatte lautstark an „5000 Unterschriften“ gegen die Kraftwerkspläne erinnert. Aktionsbündnis fordert weiterhin Schadstoff-Voruntersuchung und will klagen„Sehr besorgniserregende Daten“KORBACH (tk). Immense Schadstoff-Vorbelastungen, Standort im Wasserschutzgebiet, „Rechentricks und Verschleierungen durch die Continental AG“: Unmittelbar vor Beginn der Informationsveranstaltung des Regierungspräsidiums hat das Aktionsbündnis „für ein lebenswertes Korbach“ gestern seine Kritik an der technischen Ausstattung des Müllheizkraftwerks und am Genehmigungsverfahren erneuert. Die Klage gegen die Genehmigung, die Regierungspräsident Klein heute aushändigt, werde vorbereitet. In den letzten Wochen habe die Bürgerinitiative (BI) „sehr besorgniserregende Daten und Erkenntnisses über die wirkliche Umweltbelastung in Korbach, vorwiegend durch die Firma Continental, gesammelt“, sagte Sprecherin Dr. Julia Günther-Pusch. Aufgrund dieser gewonnenen Erkenntnisse bestehen „bereits jetzt erhebliche Gefahren“ für die Gesundheit der Bürger. Umgehend müsse dieser vielfältige Schadstoff-Ausstoß reduziert werden. In erster Linie kritisiert die BI das Vorgehen von Professor Heinz-Erich Wichmann (München). Sein humantoxikologisches „Gutachten“, das aus Sicht der BI diese Bezeichnung nicht verdiene, auf das sich aber die Behörde beim „immisionsschutzrechtlichen Zulassungsverfahren“ stützt, weise gravierende Fehler auf. „Die Daten zur Immissionsprognose, welche ihm zur Verfügung gestellt wurden, entstammen nicht konkreten Messungen, sondern von vom Umweltbeauftragten der Firma Continental selber durchgeführten Modellrechnungen“, führte Julia Günther-Pusch aus. Die Grundlage dieser Berechnungen sei nie offengelegt, die Resultate „allem Anschein nach“ nie überprüft worden. Als Beispiel führte die Medizinerin die Lösemittel-Emissionen der Conti an. Der Ausstoß dieser Substanzen habe nach eigenen Berechnungen im Jahr 2005 „394,806 Tonnen“ betragen. Damit werde der gesetzlich vorgeschriebene Grenzwert „von der Firma Continental nach den Recherchen der Bürgerinitiative um ein Mehrfaches überschritten“. Es entstehe der Eindruck, „dass Conti durch geschickte Rechenoperationen im Einvernehmen mit dem Regierungspräsidium die wahre Menge der Lösemittel-Emissionen drastisch reduziert“. Wichmann habe zudem die Ruß- und Feinstaubemissionen des Conti-Mischsaals nicht berücksichtigt. Dabei gelte er gerade auf diesem Gebiet als „anerkannter und sehr kritischer Experte“. Angesichts dieser Mängel sei zu konstatieren, „dass die jetzt bekannt gewordenen Emissionen die bisher offziell genannte Größenordnung in erheblichem Maße überschreiten“. Zu befürchten sei, dass krebserregende, das Hormonsystem beeinfussende Stoffe „in gesundheitlich relevanten Mengen“ freigesetzt würden. Mit Conti bestehe in Korbach „eine Punktquelle für erhebliche Emissionen“. Der Kommentar des Kieler Umwelttoxikologen Dr. Hermann Kruse, der bundesweit als anerkannter Fachmann für die Bewertung von Müllverbrennungsanlagen gilt, zu den Recherche-Ergebnissen der Bürgerinitiative: „Ich halte die genannten Emissionen für so hoch, dass es grob fahrlässig ist, eine Genehmigung des geplanten Werkes auszusprechen, ohne die Vorbelastung in der Region zu messen.“ Dass die Genehmigung ohne eine solche Vorbelastungsuntersuchung erteilt wird, fügt sich aus Sicht der Bürgerinitiative ins Bild. Eine „unvoreingenommene Prüfung“ habe das Regierungspräsidium nicht vorgenommen. BI-Sprecher Harald Rücker sieht den Regierungspräsidenten deshalb auch eher in der Rolle „eines Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft“, nicht aber in der eines „Gesundheitsschützers der Bürger“. Sobald der Wortlaut der heute an den Betreiber MVV Energie (Mannheim) ausgehändigten Genehmigung vorliegt, wolle das Aktionsbündnis die Verfahrensklage konkret formulieren. In dem Verfahren hätten die Richter dann vor allem die Frage zu klären, ob die Gesetze und Ausnahmeregelungen rechtskonform angewendet wurden. Flankierend dazu wird ein sofortiger Baustopp gefordert. Denn je weiter der Bau der Anlage fortgeschritten sei, so Rücker weiter, desto schwerer dürfte es den Richtern fallen, einer solchen Klage stattzugeben. ChronikOktober 2003: Pläne der Firma „Energos Deutschland“ sehen vor, in Korbach ein Kraftwerk zu errichten, in dem Restmüll als Brennstoff verfeuert werden soll, um für das Conti-Werk Dampf für Heizung und Prozesswärme zu erzeugen. Februar 2005: Nach mehr als einem Jahr Pause werden die Kraftwerkspläne wieder aufgewärmt. Als möglicher Betreiber ist statt „Energos“ und Stratmann (Bestwig) der Mannheimer Energieversorger MVV im Gespräch. November 2005: Vertreter der Be-treiberfrma MVV Energie erläutern in einer Bürgerversammlung vor mehr als 500 Besuchern in der Stadthalle die Kraftwerkspläne. In den Wochen zuvor hatte das Vorhaben die Kommunalpolitiker beschäftigt. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob und wie ein Bürgervotum eingeholt werden sollte. Januar 2006: Der vorbehandelte Abfall, der im Conti-Heizkraftwerk verbrannt werden soll, wird nicht, wie ursprünglich geplant, von der Flechtdorfer Mülldeponie geliefert. Die Gespräche mit den regionalen Entsorgern verliefen im Sande. Die Qualität des Mülls lasse aus Sicht der Betreiber zu wünschen übrig. April 2006: Bilden die Emissionen aus dem geplanten Conti-Müllheiz-kraftwerk zusammen mit bereits vorhandenen Schadstoffbelastungen Gesundheitsrisiken für die Bürger? Diese Frage muss nach Ansicht des Umwelttoxikologen Dr. Hermann Kruse von der Universität Kiel im Genehmigungsverfahren unbedingt geklärt werden. Der bundesweit anerkannte Fachmann für die Bewertung von Müllverbrennungsanlagen referiert bei einer Veranstaltung des Aktionsbündnisses, zu dem die Bürgerinitiative „für ein lebenswertes Korbach“, die Ortsverbände des Bundes Umwelt- und Naturschutz (BUND) und des Naturschutzbundes (NABU), das Waldecker Ärztenetz sowie die Grünen gehören. Mai 2006: Der letzte Wohnblock der früheren Conti-Werkssiedlung in der Limmerstraße wird abgerissen. Auf dem Areal nahe Tor 2 soll das Heizkraftwerk entstehen. Juni 2006: Dr. Peter Koswig, Dr. Michael Rost und Dr. Julia Günther-Pusch vom Waldecker Ärztenetz übergeben Listen mit insgesamt 664 Unterschriften von Bürgern, die Bedenken gegen den Bau des Kraftwerks äußern, an Bürgermeister Klaus Friedrich und Parlamentschef Heinz Merl. Wenige Wochen später nehmen Friedrich und Merl 2384 Unterschriften von Kraftwerks-Befürwortern entgegen, die Mitglieder des Conti-Betriebsrats gesammelt haben. August 2006: Das Korbacher Aktionsbündnis stellt bei der Kontrollbehörde den Antrag auf eine humantoxikologische Voruntersuchung. Mit diesem Schadstoff-Gutachten soll die aktuelle Belastung für Mensch und Umwelt gemessen werden und in das Genehmigungsverfahren ein-fießen. Regierungspräsident Lutz Klein nimmt den Antrag in Kassel entgegen. September 2006: Das Korbacher Parlament spricht sich gegen die Forderung eines Schadstoff-Gutachtens aus. Entsprechende Anträge der Grünen und aus der CDU wurden mehrheitlich abgelehnt. Oktober 2006: Fünf Aktenordner füllen die Antragsunterlagen für den Bau des Conti-Heizkraftwerks, die im Korbacher Rathaus sowie in den Stadt- und Gemeindeverwaltungen in Lichtenfels, Twistetal, Diemelsee und Vöhl bis zum 22. November öffentlich ausliegen. Dezember 2006: Fast 2300 Einwendungen gegen den Bau des Müllheizkraftwerks übergeben Mitglieder des Aktionsbündnisses an Regierungspräsident Lutz Klein. Januar 2007: Fünf Tage lang wird beim öffentlichen Erörterungstermin des Genehmigungsverfahrens in der Stadthalle zumeist fair, aber verbal auch oft knallhart diskutiert. Hauptkritikpunkte des Aktionsbündnisses: Die Kontrolle des eingehenden Abfalls und der ausgehenden Schlacke sei nicht wirksam genug, und die Filtertechnik sei keineswegs auf dem neuesten Stand der Technik. Mai 2007: Das Regierungspräsidium genehmigt den MVV-Antrag auf vorzeitigen Baubeginn des Kraftwerks. Juli 2007: Regierungspräsident Klein kündigt an, am 12. Juli den Genehmigungsbescheid an MVV auszuhändigen. (tk) Quelle: WLZ vom 12. Juli 2007 Der gesamte Artikel als PDF-Datei (484 KByte) Zurück![]() |
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