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Die Risiken stehen in keinem Verhältnis26.03.2014

Andy Gheorghiu spricht beim BUND über Fracking und Freihandelsabkommen

Sigmaringen / sz Andy Gheorghiu aus Korbach in Nordhessen sieht in einem Freihandelsabkommen eine Gefahr für Demokratie und Umweltschutz. Er setzt sich als Koordinator der Anti-Fracking-Bewegung auf nationaler Ebene ein und kennt sich beim Thema Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP) auf internationaler Ebene aus. Die BUND-Ortsgruppe Sigmaringen hat ihn eingeladen, um über "Freihandelsabkommen - Demokratie und Umweltschutz nicht an Großkonzerne verkaufen!" zu sprechen. Vor seinem Vortrag am Samstag, 29. März, um 20 Uhr im Bürgersaal des Rathauses in Laiz sprach er mit Gabriele Loges darüber, inwieweit die Thematik alle Bürger, auch in unserer Region, betrifft.

Der BUND will, dass das sogenannte Fracking in Deutschland verboten bleibt, weil Fachleute unkalkulierbare Risiken sehen.

Herr Gheorghiu, seit wann beschäftigen Sie sich mit diesem Thema und warum?

Noch bin ich Angestellter im öffentlichen Dienst beim Bauamt, nebenher schreibe ich für die Zeitschrift "Naturverbunden" und würde jetzt gerne meine ganze Kraft in den Schutz von Natur und Demokratie stellen. Meine Reise begann 2012 mit der Recherche zum Thema Fracking. Ich wollte auch die geopolitische Dimension erfassen und bekam Kontakt mit dem regionalen Netzwerk, dann mit dem nationalen und europäischen Widerstand gegen Fracking. Der Menschenverstand sagt, dies kommt nicht in die Tüte, denn die Risiken und Auswirkungen stehen in keinem Verhältnis zum Ertrag und zur Zerstörung in der Natur. Fracking ist geradezu symbolisch für das, was wir für uns und die Zukunft unseres Landes nicht haben wollen.

Kann sich nicht jedes Bundesland, jeder Staat gegen die Tiefenbohrung, um Schiefergas zu fördern, aussprechen oder sich wieder zurückziehen?

Doch natürlich. Es gibt viele Möglichkeiten und Rechtsgrundlagen, die dies ermöglichen. Das Verhalten der Politiker ist aber teilweise völlig widersprüchlich. So tourt Günter Oettinger seit Jahren durchs Land und verspricht, man werde durch Schiefergas unabhängiger von Russland, andererseits hat er zugestimmt, dass die BASF-Tochter Wintershall Marktanteile in Deutschland an das weltweit größte Erdgasunternehmen, die russische Gazprom, verkauft beziehungsweise getauscht hat.

Sind die Verhandlungen bezüglich der Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA ihrer Auffassung nach transparent?

Gheorghiu: Die Verhandlungen finden bislang hinter verschlossenen Türen statt. Das hat mit demokratischen Abläufen nichts mehr zu tun, zumal die Folgen der Verhandlungsergebnisse dramatisch sein können.

Gibt es ein konkretes Beispiel dafür?

Ja, es gibt einen aktuellen und sehr wichtigen Fall in Kanada. Die Region Quebec hat sich gegen Fracking ausgesprochen, weil sie erst die Auswirkung auf die Gesundheit der Menschen untersuchen will. Alleine dieser Genehmigungsstopp wird aber als Provokation verstanden. Kanada wird deshalb von einem Öl- und Gaskonzern auf 250 Millionen US-Dollar verklagt, weil der seinen Gewinnertrag um diese Summe geschmälert sieht. Und so eine Fallkonstellation ließe sich auch auf die Bodensee-Region übertragen.

Aber nur dann, wenn Europa tatsächlich ein Freihandelsabkommen mit Nordamerika oder Kanada unterschreibt?

Große Konzerne könnten dann tatsächlich mit einer Art Paralleljustiz den demokratischen Prozess aushebeln. Nicht mal ein Bürgermeister einer Stadt wird sich dann noch trauen, strengere Auflagen zu fordern, weil der Konzern sofort Deutschland und somit jeden Steuerzahler auf eine hohe Summe verklagen kann. Mit einer Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit in den Freihandelsabkommen könnten Privatunternehmen auch für die Bodenseeregion wesentlich aggressiver ihr vermeintliches Recht auf Fracking und Sonstiges einfordern. Die Bodensee-Wasserversorgung könnte dann zum Beispiel extrem gefährdet werden. Über 300 Städte und Gemeinden und rund vier Millionen Menschen werden mit Trinkwasser aus dem Bodensee versorgt. Auch Sigmaringen versorgt sich - so viel ich weiß - teilweise mit Bodenseewasser. Wir sind also hier auch in gemeinschaftlicher Verantwortung, das im Grundgesetz verankerte Recht auf körperliche Unversehrtheit zu bewahren.

Das Wort Freihandelsabkommen signalisiert eigentlich mit "frei", "Handel" und "Abkommen" einen positiven Wert. Sie sehen darin jedoch eine Bedrohung?

Man müsste es als "ungezügelter Hebel" der Großkonzerne gegen den Staat bezeichnen. Beim Fracking, aber auch bei Verbraucherschutzgesetzen, seien es Hormonfleisch oder genmanipulierte Nahrungsmittel. Wenn Investoren über die Schiedsgerichtsbarkeit eine Art Paralleljustiz schaffen, torpedieren sie damit die Grundlagen der Demokratie.

Kann der einzelne Bürger oder die Bundesrepublik Deutschland überhaupt etwas dagegen unternehmen?

Es ist sozusagen Fünf vor Zwölf. Aber wir können und müssen immer etwas dagegen tun.

(Erschienen: 26.03.2014 21:30)