KORBACH (jk). Die Bürgerinitiative will den Druck auf die Planer des Heizkraftwerks für Conti erhöhen. In den nächsten zwei Wochen wird ein Korbacher Aktionsbündnis bei der Kontrollbehörde den Antrag auf eine Voruntersuchung stellen.
Damit soll die aktuelle Belastung für Mensch und Umwelt gemessen werden - und in das Genehmigungsverfahren einfließen.
Das Korbacher „Aktionsbündnis" erneuerte am Mittwochabend die massive Kritik an den Plänen für das Heizkraftwerk. Über 70 Zuhörer, darunter zahlreiche Stadtverordnete, waren der Einladung der „Bürgerinitiative für ein lebenswertes Korbach" (BI), des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND), des Naturschutzbundes (NABU) und von Bündnis90/Grünen ins Goldflair-Hotel Am Rathaus gefolgt. Unterstützt wird das Aktionsbündnis vom Ärztenetz Waldecker Land, das seine Forderung nach gründlicher Voruntersuchung bereits mit einer Unterschriftenliste dokumentiert hat (wir berichteten).
"Einfache Filtertechnik"
Referenten waren am Mittwoch Klaus Koch, selbständiger Umweltberater aus Norddeutschland, und Peter Gebhardt, Umweltingenieur aus Mittelhessen. Ihre Vorträge glichen inhaltlich den beiden früheren Informationsrunden der BI.
So stellte Gebhardt das geplante Kraftwerk, in dem vorbehandelter Müll verfeuert werden soll, schematisch vor. Kritik äußerte der Umweltingenieur vor allem an der vorgesehenen Filtertechnik und setzte etwa Müllverbrennungsanlagen (MVA) in Bielefeld und Emlichheim als Vergleiche dagegen. Statt aufwendiger vierstufiger Filterung samt Gewebefilter, Katalysator und „Wäscher" wie in Bielefeld sei in Korbach nur ein einstufiges Verfahren geplant. Wenn dies ausfalle, würden die Abgase weitgehend ungefiltert in die Luft geblasen, warnte Gebhardt.
Die Anlagen in Bielefeld und Emlichheim hätten erheblich geringere Schadstoffwerte, als in Korbach beantragt werde. Allein die Bezeichnung „Industrieheizkraftwerk" sei eine Verklausulierung, denn auch in Korbach werde schlicht Abfall verbrannt - ob nun vorbehandelt und zerhäckselt oder nicht.
Zudem räumte Gebhardt mit der Behauptung auf, in Deutschland gebe es die strengsten europäischen Grenzwerte. Die Europäische Union habe inzwischen ähnliche Verordnungen, in den Niederlanden seien die Grenzwerte sogar deutlich schärfer als in Deutschland. Dabei geht es vor allem um Schwermetalle, Dioxine und Stickoxide.
Gebhardts Fazit: Das in Korbach von MVV Energie (Mannheim) für Conti
geplante Kraftwerk entspreche keineswegs dem modernsten Stand der Technik. Eine Anlage, die doppelt, dreifach oder gar zehnfach emittiert, kann kein Fortschritt sein."
Klaus Koch nannte weitere kritische Punkte. Der Standort bei Conti liege im Wasserschutzgebiet, zudem gebe es im Umfeld Korbachs bereits zahlreiche Altlastenfunde - darunter auch eine alte Deponie von Conti an der Straße nach Flechtdorf.
„Hier muss eine vernünftige Datenbasis erhoben werden", unterstrichen deshalb Koch und Gebhardt. Der Betreiber MVV wolle keine eigenen Messdaten an Ort und Stelle erheben, und die künftigen Zusatzbelastungen resultierten allein aus Modellrechnungen.
So untermauerten das Aktionsbündnis und die Referenten „unsere Forderung nach einer humantoxikologischen Vorbelastungsuntersuchung", betonte Dr. Julia Günther-Pusch, Sprecherin der Bürgerinitiative. Zugleich wurde eines bei der Veranstaltung offenbar: Das geplante Heizkraftwerk, in dem Müll von außerhalb verfeuert werden soll, ist längst kein Thema mehr allein für Korbach. „Die ganze Bevölkerung in Twistetal hat großes Interesse, dass jetzt die Belastungen gemessen werden und man dann auch genau weiß, was hinterher aus dem Schornstein rauskommt", bekundete etwa der Berndorfer Ortsvorsteher Wilhelm Pötter.
In Kürze will das Aktionsbündnis mit fachlicher Begleitung der Referenten eine Voruntersuchung beim Regierungspräsidium beantragen. Dabei dränge die Zeit, betonte Gebhardt: Wenn das Genehmigungsverfahren beim Regierungspräsidium (Kassel) erst richtig in Gang sei, habe eine Voruntersuchung keinen Einfluss mehr auf den Kraftwerksbau.
Die Kosten der Untersuchung bezifferte Koch auf „125 000 bis 250 000 Euro". Da Korbach aber seit 100 Jahren Industriestandort sei, „haben wir es hier eher mit der teureren Variante zu tun". Die Kosten soll der Kraftwerksbetreiber übernehmen.
Dabei ist eine solche Studie, die Belastungen in Boden, Luft und Wasser untersucht, kein Federstrich. In der Regel müsse ein Jahr lang gemessen werden, sagte Koch - und markierte besondere Probleme in Korbach:
- Es gibt keine Wetterstation mit verlässlichen Daten (Wind, Niederschlag).
- Laut europäischem Recht müssen auch weiter entfernte geschützte FFH-Gebiete (Flora-Fauna-Habitat) einbezogen werden bis zu „mindestens fünf bis sechs Kilometern" im Umkreis.
- Zudem hält Koch die geplante Lage des Kraftwerks in Wasserschutzzone III für höchst bedenklich.
Dahinter steckt, dass der Untergrund in Korbach meist klüftig ist (Kalk), und Wasserverschmutzungen schnell in Grundwasser und Quellen gelangen können. Nach heutigen Umweltschutz-Maßstäben dürfte eine Siedlung wie Korbach vermutlich hier gar nicht mehr gebaut werden. Dagegen steht aber die Realität: Leben, Arbeit, Produktion - die für Korbach unerlässlich ist.
Koch ließ derweil in seinen Argumenten auch durchblicken, dass er grundsätzlich das geplante Heizkraftwerk in Korbach anzweifelt, und führte den im Waldecker Land bedeutenden Tourismus an: „Ich würde nicht zum Wandern kommen, wenn hier eine Müllverbrennungsanlage steht."
Parlament im Zwiespalt
Für die Stadtverordneten unter den Zuhörern wird die Entscheidung nicht einfacher. MVV habe eine erheblich modernere Anlage dargestellt als die Referenten, erklärte CDU-Fraktionschef Kwoll. Und welche Indizien gebe es überhaupt, dass Umwelt und Boden in Korbach belastet seien?
FDP-Abgeordneter Arno Wiegand bezweifelte zudem, dass die Hälfte des Jahres Invwersionswetterlage (Dunstglocke) in Korbach herrsche, wie Koch erklärte. Die Stadt liege schließlich auf einer Hochebene.
Helmut Schmidt (SPD) folgerte mit zweifelndem Unterton: „Wenn der Standort im Wasserschutzgebiet liegt und die Anlage nicht dem Stand der Technik entspricht, dann könnten wir uns ja jetzt alle entspannt zurücklehnen, weil das Regierungspräsidium dann nicht genehmigen kann."
Müll weiter in der Erde zu verbuddeln, dies sei aber kaum der richtige Weg. Die Beschlusslage des Parlaments sei klar, verdeutlichte Schmidt: „Wir sind für ein Heizkraftwerk, aber unter der Voraussetzung bestmöglicher Filtertechnik."
Denn wenn es um die Gesundheit der Bürger gehe, „gibt es keinen Rabatt".
So versicherte Bürgermeister Klaus Friedrich: Wirtschaftskraft sei enorm wichtig, aber auch die Gesundheit der Bevölkerung. „Wir wollen das Beste für Sie und bleiben weiter am Ball."
Quelle: WLZ vom 7. Juli 2006 Zurück
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